113 Stunden in der Blase Brunei.

Blasenleben.
Blasenleben.

Vorab ein paar Eckdaten über das muslimische Sultanat an der Westküste Borneos. Mit einer Bevölkerung von knapp unter 400.000 Menschen gehört Brunei Darussalem zu den kleinsten, aber auch zu den reichsten Staaten der Welt. Öl und Gas dominieren die Wirtschaft und bescheren Sultan und Bewohnern einen Reichtum, der sich mit jenen in den Ölstaaten des Mittleren Ostens messen lässt. Es gibt keine Einkommenssteuer, die medizinische Versorgung ist im ganzen Land kostenfrei, der Besuch von Schulen und Universitäten ist umsonst (zusätzlich werden gerne Auslandsstipendien vergeben), der Benzinpreis pro Liter liegt stabil bei ca. 25 € Cents und der Staat bezuschusst alles Erdenkliche vom Eigenheim bis zum täglich Reis. Gute Voraussetzungen um ein unbeschwertes Leben zu führen. Eigentlich.
Aber Brunei hat ein Problem. Nein, nicht Brunei hat ein Problem, das habe vielmehr ich. Brunei ist eine Blase, eine kleine Blase. Eine kleine Blase, die wie eine winzige Insel auf einer größeren Insel namens Borneo schwimmt. Mein Probelm besteht darin, dass ich mir ständig bewusst gewesen bin, mich in dieser Blase zu bewegen. Auf Dauer ein eher unwünschenswerter Zustand. Für einen Kurzaufenthalt von 113 Stunden ein Märchen wie aus Tausend und einer Nacht. Da wären wir schon wieder im Orient, fälschlicherweise.
Wir kommen vom Süden her, genauer von Miri und erreichen die bruneiische Grenze um 16.00 Uhr an einem Freitag. Die Zollbeamten begrüßen uns herzlich (der erste Eindruck eines Landes zählt, das weis ich aus unseren Erfahrungen!), das Poster mit verschiedenen Drogen und der Konsequenz mit ihnen bei der Einreise erwischt zu werden, schockt. Todesstrafe für alle Drogenschmuggler. Sollte so nicht ganz stimmen, aber die Abschreckung wirkt, jedenfalls bei mir. Am Busbahnhof von Kuala Belait, Bruneis Grenzstadt zum malaysischen Staat Sarawak, werden wir von unserem Gastgeber Nr.1 mit seinem Auto abgeholt. Zwei Nächte sollten wir bei Jimmy (Name geändert) und seinen chinesischen Eltern und Geschwistern wohnen und das Leben in der Blase kennenlernen. Die Beschreibung des Lebens in Brunei als dem in einer Blase stammt übrigens von Jimmy. Jimmy ist ein großer Fan des Ausländers und die meisten seiner Freunde stammen aus Europa oder den USA. Wir fahren gemeinsam in einen Sport- und Freizeitclub, indem ich so viele blonde Kindern sehen muß, wie sie mir seit unserer Abreise in Deutschland nicht mehr unter die Augen gekomen sind. Der Großteil der Ausländer arbeitet für Shell und ihr Arbeitgeber stellt ihnen alle Annehmlichkeiten. Sie wohnen in eigens errichteten Siedlungen und verbringene ihre Freizeit gemeinsam in den Clubs. Dort trinken sie Bier am Strand, während ihre Kinder im Meer planschen, spielen Tennis und Golf oder gehen im angebauten Restaurant Steaks essen. Eine selten seltsame Erfahrung uns hier einen der farbenreichsten und mystischsten Sonnenuntergänge anzuschauen. Aber irgendwie passend. Alles absurd. Wir fahren in ein Food Center, verspeisen drei Portionen gebratene und gekochte Nudeln. Das Essen ist sehr gut in Brunei. Auf dem Nachhauseweg schauen wir uns noch ein bisschen die Nachbarschaft, ein paar von der Ölindustrie gesponserte Denkmäler und einen Supermarkt an. Der Großteil der Produkte für den täglichen Bedarf wird aus Australien importiert. Selbst beim Hundefutter scheinen die Bruneier ihren malaysischen Nachbarn nicht zu trauen. Wir gehen müde ins Bett, haben viel zu verarbeiten.
Jimmy steht früh auf und so tun wir das auch. Bereits um 7.30 Uhr frühstücken wir eine Nudelsuppe und trinken Kaffee. Mit seiner Mutter und seinem Neffen fahren wir nach Suria, eine Nachbarstadt, um dort ein zweites Frühstück einzunehmen. Ohne eigenes Auto läuft hier nichts. Nach einem weiteren Supermarktbesuch, diesmal ein britischer Kleinmarkt, der den Bedürfnissnen der stationierten Engländern nachkommt, besuchen wir Freunde von Jimmy. Die veranstalten gerade einen Hausflohmarkt um ihren Krempel vor der Umsiedlung nach Singapore an die zurückbleibenden Leute zu bringen. Chihi kauft sich einen Sarong. Schön, günstig und in Malaysia hergestellt. Jimmy verspricht ins Zentrum mit uns zu fahren, lässt uns bei seinem Arbeitsplatz aussteigen und wir geniessen einige Stunden alleine, erst an der Meerespromenade, später im Zentrum. Unser Gastgeber muss kurzfristig arbeiten, es stört ihn und es stört in nicht. Es gefällt ihm ständig in action zu sein. Er künstelt sich das Leben eines Jetsetters vor, gibt sich genauso beschäftigt, telefoniert ständig, ist auch immer erreichbar, spricht permanent von freizeitlichen Verpflichtungen, die es einzuhalten gilt, organisiert diese aber selbst. Es war interessant zu sehen wie ein Mensch versucht der täglichen Langeweile durch ein Überladen seines Terminkalenders zu entkommen. Zu tun gibt es wirklich nicht viel in Brunei, in Kuala Belait erst recht nicht, aber Jimmy ist immer auf Achse, gehetzt und gejagt.
Die Hitze ist unerträglich. Wir treffen uns am frühen Nachmittag in einem chinesischen Cafe und sind froh als uns Jimmy anbietet mit uns nach Hause zu fahren. Wir lechzen nach Klimaanlage und ziehen eine Rast in seinem Zimmer mit Internet seinem Kurzausflug nach Malaysia vor. Mit einer muslimischen Freundin will er einen Alcohol Run machen, schnell Bier und Schnaps auf der anderen Seite der Grenze einkaufen und wieder zurückkommen. Der Verkauf von Alkohol im Sultanat ist gesetzlich verboten, getrunken wird trotzdem. Abends besuchen wir andere Freunde von Jimmy. Der Holländer, der mit einer Hong Kongerin verheiratet ist, lebt das wirkliche Leben eines Jetsetters. Er arbeitet in über 40 Ländern und fast geanuso viele Biersorten nehmen den Platz in seinem Kühlschrank ein. Während er über Skype, ohne Shirt an seinem Mac Book Pro, noch einige wichtige Geschäfte macht, lassen wir uns den importierten Alkohol und die ebenfalls importinerten Moon Cakes aus Hong Kong schmecken und unterhalten uns mit seiner Frau. Blasenleben. Trotzdem ein sehr bodenständiger Mensch, der mich sehr beeindruckt hat.
Am nächsten Morgen, Jimmy geht schon wieder seinen wichtigen Verpflichtungen nach und trainiert für das anstehende Tennisturnier, schlafen wir länger. Mittags fährt er uns wieder nach Suria. Wir essen noch eine Kleinigkeit und nehmen dankbar den Bus nach Bandar Seri Begawan, kurz Bandar oder BSB, der Hauptstadt Bruneis.
Unser Gastgeber Nr.2 gibt den klassischen Gegenentwurf zu Jimmy ab. Der doppelt so alte Ali (Name geändert) ist Oberhaupt einer muslimischen Familie, begrüsst uns in traditioneller Tracht und freut sich uns seine, zu Anfangs leicht eingeschüchterte, Familie vorzustellen. Alle ordentlich in Tracht, die Frauen mit Kopftuch, wir dazwischen in einem prachtvoll geschmücktem Wohnzimmer. Wir plaudern bei selbstgemachtem, kalorienreichem Gebäck und Tee. Endlich das Leben in einer muslimischen Großfamilie erfahren. Eine weitere Blase? Unsere Gastgeber haben sich viel Mühe gemacht und uns ein eigenes Badezimmer zur Verfügung gestellt und in ihre Bibliothek eine Matratze gelegt. Auch hier ist Wifi selbstverständlich. Bevor wir uns zu einer Exkursion durchs nächtliche Bandar aufmachen, geniessen wir das reichliche Abendessen im Kreise der erweiterten Familie. Das Wohnzimmer ist plötzlich deutlich gefüllter und wir verstehen warum mindestens 30 Sitzplätze zur Verfügung stehen. Verwandte und Freunde werden uns vorgestellt und keinen der Namen kann ich mir merken. Unsere anschließende Autofahrt soll uns einen Überblick über Bandar geben und das tut sie. Wir werden mit detailierten Informationen zu jedem Gebäude, zu jedem Hintergrund, zu Allah und der Welt bombadiert. Am Ende bröckelt unsere Aufnahmefähigkeit und meine Gedanken rotieren wie Schiffsschrauben und fräsen Nervosität in meinen kaum mehr intakten Verstand. Bevor ich die Kontrolle verliere, kehren wir in unser neues Zuhause zurück und entspannen uns noch ein paar Minuten bei einem Gespräch mit den Frauen der Familie.
Am nächsten Morgen, aufgetankt mit einem Frühstück im indischen Cafe und weiteren, geschätzten eine Billion Informationen, fahren wir mit Ali zum Brunei Museum, in dem wir gemütlich zwei Stunden umherschlendern. Anschließend geht's zum Kota Batu Mausoleum, dem Grabmal des fünften und größten Sultans Bruneis, Bolkiah. Ali bleibt im Auto, er hält der Hitze nicht stand, will nicht schwitzen, um nicht zu stinken. Er ist fauler geworden, wie viel Bruneier; eine Folgeerscheinung des Reichtums der vergangenen Jahrzehnte. Die Folgeerscheinung dieses Bewegungsmangels ist die erhöhte Gewichtszunahme. Bei den Kindern, der neuen Generation Bruneis, am deutlichsten sichtbar. Alis Kinder bilden da leider überhaupt keine Ausnahme. Bewegung nur in klimatisierten Räumen, dem Auto eingeschlossen. Als ich Parallellen mit Los Angeles und ihrer fußlahmen Population ziehe, erzählt Ali mir stolz, dass in Brunei die Auto-pro-Kopf-Rate die zweithöchste der Welt sei. Getoppt nur noch von Los Angeles. Aber das wird sich bald ändern, da bin Ich mir sicher. Autos werden hier fast steuerfrei verkauft und das Hauptinteresse der männlichen Bevölkerung ist ihnen sicher, nur noch in Konkurrenz mit dem reichlichen Essen. Unser Gastgeber lässt uns an der Uferpromenade aussteigen und wir schwitzen uns Richtung Stadtzentrum, laufen über einen Markt, sehen uns die, am Vorabend ausführlichst beschriebenen, Gebäude an und besuchen das Royal Regalia Museum. Aufwendig inszeniert und mit einer wunderbar kalten Klimaanlage ausgestattet. Nach einem Stop im bruneiischen KFC-Pendant und einem frittierten Riesenhühnchen hasten wir zur Omar Ali Saifuddien Moschee. Ein traumhafter Anblick bei Sonnenuntergang. Für den Besuch des Inneren kommen wir leider fünf Minuten zu spät, aber den werden wir am nächsten Tag nachholen. Wir sehen uns nur noch kurz den Yayasan Shopping Complex an. Zwischen Geschäften eingebettet findet sich die Deutsche Botschaft. Wir senden Ali eine Textnachricht und werden eine Viertel Stunde später nach Gadong chauffiert. Das Unterhaltungsviertel, will heißen, Einkaufsviertel mit zwei riesigen Shopping Malls und einigen Restaurants, ist Bruneis einziger Straßenzug an dem abends noch Leben herrscht. Jedenfalls bis 22 Uhr. Da ab 18 Uhr der Transport mit öffentlichen Verkehrsmittel eingestellt wird, die Zahl der Taxis sich landesweit auf 42 beschränkt und wir diese sowieso nicht zahlen wollen, kommen wir gerne wieder auf Alis Angebot zurück uns abzuholen. Sein Haus liegt um die Ecke in Gadong, doch er möchte einen kleinen Umweg fahren, um uns noch mehr von seinem spannenden Brunei zu zeigen. So kurven wir bei strömendem Regen - es hat tatsächlich jeden Abend während unseres Bruneiaufenthaltes heftig geregnet -  Umland auf, Umland ab, genießen einen bequehmen, trockenen Sitzplatz und lauschen weiter der Informationsflut unseres Gastgebers. Manchmal kam es mir vor, als hätte Ali seit Jahren auf unseren Besuch gewartet und sich zeitdessen akribisch vorbereitet. Hinzu kommt, dass Ali nicht nur gebürtiger Bandar Seri Begawaner, sondern auch noch mit einem Drittel der Bevölkerung verwandt und mit einem anderen Drittel befreundet ist. Keine Geschichte, kein Fakt ist im unbekannt. Er kennt jede Ecke und weis von welcher Seite sie das beste Foto abgibt. Also haben wir diesen Wolkenbruch für ein Fotoshooting aus dem Auto heraus genutzt.
Dienstag Morgen. Unser letzter voller Tag in Bandar und damit auch in Brunei. Gestärkt mit einem kleinen, süßen Frühstück zuhause und einem zweiten in einem empfohlenem Foodcourt, fährt uns Ali zur Omar Ali Saifuddien Moschee um uns diesmal den Besuch des Inneren zu ermöglichen. Es ist ein prachtvoller Bau, wenngleich einem die wirkliche Schönheit der Moschee dann doch eher von außen begegnet. Nach dem kurzen Moscheebesuch machen wir uns über einige Holzbrücken auf, zu Fuß einen der Höhepunkte des touristischen Sightseeings Bandars unter die Lupe zu nehmen. Kampong Ayer, einem Zusammenschluß von 28 angrenzenden Wasserdörfern, ist fast vollständig auf Stelzen errichtet worden. Es bietet mehrere Moschees, kleine Einkaufsläden, Restaurants, Arztpraxen und vieles mehr. Es macht viel Spaß über die Holzplanken zu laufen, das Wasser unter und die Bewohner neben sich winken zu sehen. Da unsere Zeit begrenzt ist, verzichteten wir auf die für Touristen kostenintensive Überfahrt zur anderen Seite und begnügen uns mit einem Teil der 20.000 Menschen Siedlung auf dem Wasser. Das größte Wasserdorf der Welt macht trotzdem Spaß. Danach fahren wir mit dem öffentlichen Minibus, zusammen mit einigen ausländischen Hilfsarbeitern direkt zum Empire Hotel, einem 5-Sterne-Palast am Südchinesischen Meer. Die Anlage ist gigantisch und Teil eines famosen Plans Prinz Jefris. Der Bruder des Sultans und ehemaliger Finanzminister scheute keine Kosten und Mühen und ließ hier seinen Kindheitsträumen freien Lauf. Das Resultat war, dass er, nicht nur wegen dieses Bauvorhabens, von seinem Amt enthoben wurde. Mein Reiseführer illustriert die Geschichte um den lebensfrohen Prinzen anschaulich mit dem Vergleich zu einem Kind, das in einem Süßwarenladen die alleinige Verfügungsgewalt bekommt und dieser Eindruck bestätigt sich mir auch sofort. Unser Gastgeber hingegen, überrascht mich mit der Hoffnung, Prinz Jefri möge als bald als möglich wieder in den Ministerposten zurückgeholt werden um Begonnenes zu vollenden. Die Geschicke um den Prinzen lohnen sich nachzulesen. Das Netz ist voll davon. Brunei muß eine Blase sein und ich bin im Moment Teil davon.
Mittwoch Morgen. Rechtzeitig zur letzten Vormittagsfähre werden wir von Ali zum Terminal gefahren und können uns noch herzlich verabschieden. Ich würde gerne noch viele Details, viele kleine Geschichte mit und von Ali zum Besten geben, aber neue Abenteuer rufen. Es war spannend, anstrengend und sehr lehrreich. Danke Jimmy und herzlichen Dank Dir Ali und Deiner Familie für Eure grenzenlose Gastfreundschaft in der Blase.

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